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  Risikokommunikation
 

Risikokommunikation:  
Voraussetzungen, Nutzen, Missbrauch

 ZUSAMMENFASSUNG

> Mit zunehmendem bewussten Eingehen von Risiken kommt als Teil des Risikomanagements auch der Risikokommunikation eine wachsende Bedeutung zu.

> Im Rahmen des Risikomanagements ist der Schutz vor Risikofolgen von wesentlicher Bedeutung, wenn es sich um gesundheitliche Risiken handelt (sofern man den Grundlagen unserer Ethik folgt).

> Ein ausreichender Schutz kann nur mit einer hinreichenden Erfassung des Risikos erreicht werden. Eine möglichst weitgehende Erfassung des Risikos  gehört zu den Grundsätzen für das Risikomanagement („ Abstützung auf die besten verfügbaren Informationen“ ( ISO 31000)) .

> Je nach angestrebtem Nutzen kann die Art der Risikokommunikation unterschiedlich ausgestaltet werden.  Der Wahl der Formulierungen kommt dabei wesentliche Bedeutung zu. Das wird  – für unterschiedliche verfügbare Informationsstände anhand von  einem Übersichtsdiagramm illustriert.

> Mit der Risikokommunikation als Einflussfaktor für Entscheidungsträger ist wesentliche Verantwortung verbunden, z.B. auch für schädliche Folgen, mit u.U. jahrzehntelangen Wirkungen.

> Bei Mangel an Informationen über das relevante Risiko kommt im Rahmen des Risikomanagements der Beseitigung des Informationsmangels vorrangige Bedeutung zu – vor einer aufwendigen Kommunikation bei Beibehaltung des Informationsmangels.

> Der erforderliche relative Aufwand für Risikoerfassung einerseits und für Risikokommunikation andrerseits korrelieren miteinander und können – im Vergleich zu den tatsächlich erfolgenden relativen Aufwänden - als Indikator für den vorrangig angestrebten Nutzen stehen.

> Aus dem Gebiet niederfrequenter elektromagnetischer Strahlung werden drei Beispiele gegeben.

 Einleitung

Mit zunehmendem bewussten Eingehen von Risiken kommt auch der Risikokommunikation eine wachsende Bedeutung zu.
Zur Optimierung der Risikokommunikation ist eine klare Identifizierung des angestrebten Nutzens der Risikokommunikation wichtig.
Zur Identifizierung des angestrebten Nutzens müssen die Nutzer-  bzw. Zielgruppen bekannt sein.

 Nutznießer-/ Zielgruppen:

(A1) Entscheidungsträger zur Vermeidung, Minimierung oder Begrenzung des Risikos
(z.B. Politiker, Gesetzgeber, Richter, Behörden etc.).
Im Rahmen des Risikomanagements sind Vermeidung, Minimierung oder Begrenzung des Risikos von vorrangiger Bedeutung, wenn die Art der Risiken gesundheitliche Risiken betrifft.

(A2) Betroffene des Risikos zur angemessenen Reaktion auf das Risiko, z.B. durch Ausweichen,  ggfls. nach Abwägung Inkaufnahme des Risikos oder Bemühungen um alternative Lösungen mit geringerem Risiko
(z.B. Anwohner nahe Höchstspannungsleitungen).

(A3) Potentielle Nutznießer des Eingehens des Risikos   (z.B.  Netzbetreiber).





Wichtigste Voraussetzung für eine nützliche Risikokommunikation

Damit die Risikokommunikation für die Nutznießergruppen (A1) und (A2) den angestrebten Nutzen hat, ist die wichtigste Voraussetzung für eine nützliche Risikokommunikation eine richtige und möglichst weitgehende Erfassung des Risikos.

Das gilt nicht, wenn das Ziel der Risikokommunikation hingegen Beschwichtigung oder sogar Verharmlosung zur Durchsetzung anderer vorrangiger Interessen ist.

Die Abstützung auf die besten verfügbaren Informationen gehören zu den Grundsätzen für das Risikomanagements ( ISO-Norm 31000, siehe Zitate: [1]). Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nennt Verlässlichkeit als Prinzip der Risikokommunikation [2].

Hintergründe, Nutzen oder Schaden

(Die verschiedenen Situationen und Vorgehensweisen sind im Diagramm (s. unten) veranschaulicht.)
Hinter der Formulierung „beste verfügbare Informationen“ können zwei sehr unterschiedliche Tatbestände stehen:
(R1) Auch die beste verfügbare Information besteht nur aus keinerlei oder völlig mangelhaften Kenntnissen über das Risiko,
(R2) die beste verfügbare Information umfasst brauchbare substantielle Kenntnisse über das Risiko.

 Im ersteren Fall (R1) ist die Risikokommunikation nutzlos für die Vermeidung oder Begrenzung des zu beachtenden Risikos. Eine mit Sicherheit risikofreie Vorgehensweise kann es nur geben, sofern eine Alternative zur ursprünglich geplanten Lösung gewählt wird – sofern es sie gibt  (R1.1).
Eine andere Vorgehensweise im Fall (R1) ist das Eingehen auf das Risiko mit der Aussage, dass kein Risiko bekannt sei   (R1.2). 
Hinter der Formulierung „kein Risiko bekannt“ können wiederum zwei sehr unterschiedliche Tatbestände stehen:
(R1.2.1 Die notwendigen Untersuchungen haben gar nicht stattgefunden  (R1.2.1).
(R1.2.2) Es haben zwar umfangreiche Untersuchungen stattgefunden, aber die Untersuchungen waren vom Inhalt her ungeeignet oder unzureichend.
Eine Vorgehensweise nach (R1.2) bedeutet, „blind“ ein unbekannt hohes Risiko eingehen.


Das Beispiel illustriert, von welcher Bedeutung die Wahl der Formulierungen, d.h. die Art der Kommunikation, ist.  Die Vorgehensweise nach (R1.2) kann mit der Formulierung „trotz umfangreicher Untersuchungen ist kein Risiko bekannt“ einhergehen. Dieser Missbrauch der Risikokommunikation ist durchaus auch aus der Praxis bekannt.
Mit der Risikokommunikation als Einflussfaktor für Entscheidungsträger ist wesentliche Verantwortung verbunden, z.B. auch für schädliche Folgen, mit u.U. jahrzehntelangen Wirkungen.
Je besser das Risiko erfasst wird, desto geringer ist die Gefahr schädlicher Folgen der Risikokommunikation („Abstützung auf die besten verfügbaren Informa-
tionen“ ( ISO 31000 [1]).  

Relativer Aufwand für Risikoerfassung und Risikokommunikation

Bei Mangel an Informationen über das relevante Risiko kommt im Rahmen des Risikomanagements der Beseitigung des Informationsmangels vorrangige Bedeutung zu – vor einer aufwendigen Kommunikation bei Beibehaltung des Informationsmangels.

Mit einer weitgehenden Erfassung des Risikos sind nicht nur bessere Maßnahmen zur Vermeidung oder Verminderung des Risikos möglich, sondern auch der erforderliche Aufwand für die  Risikokommunikation bleibt relativ gering.

Je besser die Kenntnis des Risikos
 - desto substantieller und nützlicher die Risikokommunikation!
 - desto einfacher die Risikokommunikation!

 Die kombinierte Betrachtung des relativen Aufwandes für die Risikoerfassung einerseits und für die Risikokommunikation andrerseits kann (muss aber nicht) als Indikator für die vorrangige  Priorität von Risikominimierung oder von Beschwichtigung oder evt. Verharmlosung dienen. Das lässt sich durch folgendes Diagramm veranschaulichen:



Die relevanten Größen bei obigen Betrachtungen sind die relativen Aufwände, nicht die absoluten. Denn der erforderliche Aufwand für Risikoerfassung (z.B. für  komplexe Forschungsvorhaben) ist naturgemäß  i.a. mindestens eine Größenordnung höher ist als der für Risikokommunikation.
Der relative Aufwand bezieht den tatsächlich betriebenen Aufwand auf den angemessenen Aufwand. Die Beurteilung des angemessenen Aufwands bietet einen beträchtlichen Spielraum, aber in vielen Fällen ist z.B. ein unangemessen niedriger tatsächlich betriebener Aufwand (und damit ein relativ niedriger) Aufwand  offensichtlich.

 

Beispiele:
(B1) Die Grenzwerte zum Schutz vor niederfrequenter elektromagnetischer Strahlung (ELFEMF) beziehen sich nur auf akute Wirkungen. Seit fast zwei Jahrzehnten wird die Nichtberücksichtigung eventueller langfristiger Wirkungen begründet mit dem Argument unzureichender Kenntnis über entsprechende Wirkungsmechanismen und seit dieser Zeit wird entsprechende Forschung auf diesem Gebiet gefordert. Sofern man das Argument unzureichender Kenntnisse über Wirkungsmechanismen akzeptieren würde, wäre das ein sehr drastisches Beispiel für unangemessen niedrigen tatsächlich betriebenen Aufwand. Dagegen ist eine beträchtliche Zunahme der Aktivitäten auf dem Gebiet der Risikokommunikation wahrzunehmen.

(B2) Das einzige - im Rahmen des EU-Forschungsprogramms - verfolgte aktuellere Projekt, das laut Projektbeschreibung  auch durch ELFEMF bedingte Wirkungsmechanismen eigentlich zum Thema hatte, war ARIMMORA (2011-2015). Tatsächlich konnten in diesem Rahmen für ELFEMF relevante Untersuchungen kaum durchgeführt werden. Der Kostenrahmen betrug unter 5 Mio € über vier Jahre.  Allein in Schleswig-Holstein werden als Kompensation für nicht genutzten „Windstrom“ mehrere hundert Millionen € pro Jahr aufgewendet.  Demgegenüber kann man den tatsächlich betriebenen Aufwand für benötigte angeforderte Forschung nur als relativ niedrig bezeichnen.

(B3) Die ursprüngliche Aufgabe einer Behörde sei der Schutz von Mensch und Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen von elektromagnetischer Strahlung. Ein Abbau oder Verlagerung von Kapazitäten und Kompetenzen zur Wahrnehmung dieser Aufgabe und ein gleichzeitiger Ausbau von Kapazitäten zur Risikokommunikation könnte hindeuten auf ein Anwachsen der Bedeutung von Beschwichtigung (evt. Verharmlosung) gegenüber der von Risikominimierung/-begrenzung.

Zitate:
[1] ISO/DIS 31000 und ONR 49000:2008 Neue Standards im Risikomanagement
[2] http://www.bfr.bund.de/de/risikokommunikation_am_bfr-1798.html










 
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